Welt am Sonntag

Plötz­lich blinkt es im Be­ton - WELT AM SONN­TAG - 12.02.12 21:02

Da­für neh­me man ei­ne Plat­te des Bau­stoffs und vie­le Gla­s­per­len! Zwei Ber­li­ner De­sig­ner ent­wi­ckel­ten so den lich­t­re­f­lek­tie­ren­den "Bling­C­re­te" für In­nen- und Au­ßen­be­rei­che. Seit zehn Jah­ren ver­fei­nern Hei­ke Kluss­mann und Thors­ten Kloos­ter ih­re Er­fin­dung, die nun auf den Markt kommt.

Die bei­den ha­ben ganz sc­hön viel Be­ton im Kopf. Seit fast zehn Jah­ren dreht sich ein er­heb­li­cher Teil der Ar­beit von Hei­ke Kluss­mann und Thors­ten Kloos­ter um das Ma­te­rial und sei­ne spe­zi­el­len Ei­gen­schaf­ten. Um die Fähig­keit von Be­ton, ein in­ter­ak­ti­ves Me­di­um zu wer­den, wenn man die da­für not­wen­di­gen In­for­ma­tio­nen auf sei­ner Ober­fläche un­ter­bringt. Ein sol­ches Pro­dukt hät­te Hei­ke Kluss­mann 2002 für ein Pro­jekt im öf­f­ent­li­chen Raum brau­chen kön­nen. Weil es das nicht gab, hat sich die Ber­li­ner Künst­le­rin mit dem eben­falls in Ber­lin le­ben­den Ar­chi­tek­ten Thors­ten Kloos­ter und an­de­ren Spe­zia­lis­ten auf ei­nen lan­gen Weg ge­macht, um lich­t­re­f­lek­tie­ren­den Be­ton zu ent­wi­ckeln, der al­len Nor­men und Richt­li­ni­en für den Au­ßen­be­reich ent­spricht. Bling­C­re­te heißt das Er­geb­nis, für das es ver­gan­ge­nes Jahr bei der ers­ten Vor­stel­lung gleich ei­nen De­sign Plus Award vom Rat für Form­ge­bung gab. Nun ge­sellt sich ein gold award vom iF für das in­no­va­ti­ve, in­tel­li­gen­te Ma­te­rial hin­zu. Da­bei wirkt die Idee von Bling­C­re­te erst ein­mal sim­pel: ei­ne Plat­te Be­ton, ei­ne Hand­voll Gla­s­per­len. Zu­sam­men er­ge­ben sie je­ne ro­bus­te wie äst­he­tisch an­sp­re­chen­de Ober­fläche, die sich in Bahn­hö­fen und Tief­ga­ra­gen eben­so gut ver­wen­den lässt wie im de­ko­ra­ti­ven Be­reich - zur Mar­kie­rung von Trep­pen­stu­fen, Ra­um­kan­ten oder als We­ge­leit­sys­tem. Die meis­ten An­fra­gen, er­zählt Thors­ten Kloos­ter, er­rei­chen das Ber­li­ner Büro mo­men­tan von Ar­chi­tek­ten und Pla­nern, die Bling­C­re­te als Fas­sa­den­e­le­ment, Wand­ver­k­lei­dung oder Bo­den­sch­muck im In­nen- und Au­ßen­be­reich ein­set­zen möch­ten. Doch das ist wohl erst der Auf­takt für ein Pro­dukt, das die Qua­li­tä­ten von Be­ton ab jetzt um ei­ne Kom­po­nen­te be­rei­chert: Es wirft Licht zu­rück.

Ih­ren An­fang nah­men die um­fang­rei­chen Re­cher­chen und Ex­pe­ri­men­te, die für die Ent­wick­lung des neu­ar­ti­gen Ma­te­rials not­wen­dig wa­ren, als Hei­ke Kluss­mann vor zehn Jah­ren ei­nen Wett­be­werb für die Aus­ge­stal­tung ei­ner U-Bahn-Li­nie ge­wann. Ge­mein­sam mit dem Büro netz­wer­kar­chi­tek­ten hat­te sie für die sechs neu­en Sta­tio­nen der Düs­sel­dor­fer Wehr­hahn­li­nie die Ge­samt­ge­stal­tung ent­wi­ckelt und für ei­ne der Sta­tio­nen ei­ne Ins­ze­nie­rung mit Ober­flächen vor­ge­schla­gen, die nach dem Prin­zip der Kat­zenau­gen­re­f­lek­to­ren in be­stimm­ten Si­tua­tio­nen auf­leuch­ten soll­ten. Das schei­ter­te je­doch an der feh­len­den Feu­er­fes­tig­keit je­ner Stof­fe, die zur Ver­fü­gung stan­den.

Doch die Künst­le­rin, die seit 2005 ei­ne Pro­fes­sur an der Kas­se­ler Uni­ver­si­tät hat, dach­te nicht ans Auf­ge­ben. Statt­des­sen lud sie ein Team von Ex­per­ten aus den Seg­men­ten Kunst, Ar­chi­tek­tur, In­ter­ak­ti­ons­de­sign, ex­pe­ri­men­tel­le Phy­sik und tech­no­lo­gi­sche Ma­te­rial­for­schung ein, ge­mein­sam ein "selbs­t­re­f­lek­tie­ren­des, feu­er­fes­tes Ma­te­rial zu ent­wi­ckeln". Das so et­was nicht im en­gen Rah­men ei­nes Ate­liers ent­ste­hen kann, son­dern Part­ner aus der In­du­s­trie braucht, war ziem­lich sch­nell klar. Thors­ten Kloos­ter: "Auf ei­ner klei­nen Fläche be­kommt man sc­hö­ne Din­ge hin, im Gro­ßen wird es kom­ple­xer. Wir woll­ten aber von Be­ginn an, dass die­ses Ma­te­rial auch in die Fer­ti­gung ge­hen kann." Aus die­sem Grund ist Bling­C­re­te ein Pro­dukt ge­lun­ge­ner Ko­ope­ra­ti­on ge­wor­den. Ge­hol­fen ha­ben För­de­run­gen wie die der AiF e.V. Al­lianz In­du­s­trie For­schung, die durch das Zen­tra­le In­no­va­ti­on­s­pro­gramm Mit­tel­stand (ZIM) des Bun­des­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­ums auch Werk­stoff-Ko­ope­ra­ti­on­s­pro­jek­te un­ter­stützt. Im La­bor reif­te die Idee für die bei­den nun ver­wen­de­ten Ma­te­ria­li­en mit Brand­schutz­klas­se A1: Kunst­stoff und Alu­mi­ni­um wur­den ge­gen Glas und Be­ton ge­tauscht. Wie sich die Kom­po­nen­ten dann al­ler­dings zu ei­ner sta­bi­len, lich­re­f­lek­tie­ren­den Ober­fläche ver­bin­den, die­se Fra­ge blieb wei­ter­hin der Künst­le­rin und dem Ar­chi­tek­ten über­las­sen. Bei­de ha­ben in den ver­gan­ge­nen Jah­ren viel ge­forscht. Kluss­manns Stu­den­ten an der Uni­ver­si­tät Kas­sel - sie lehrt dort im Fach­be­reich Ar­chi­tek­tur und Stadt­pla­nung - wa­ren eben­so in­vol­viert wie Thors­ten Kloos­ter, der 2009 das Buch "Smart Sur­faces: In­tel­li­gen­te Ober­flächen und ih­re An­wen­dung in der Ar­chi­tek­tur und im De­sign" her­aus­ge­ge­ben hat, oder der Ex­pe­ri­men­t­al­phy­si­ker Ar­no Eh­res­mann, des­sen Ex­per­ti­se un­ent­behr­lich für die Po­si­tio­nie­rung der Gla­s­per­len im Be­ton war. "Für uns wur­de ir­gend­wann 51 zur gro­ßen, ma­gi­schen Zahl", er­zählt Hei­ke Kluss­mann. Denn ex­akt zu 51 Pro­zent müs­sen die Mi­kro­glas­ku­geln im Un­ter­grund ver­senkt wer­den, da­mit sich der Ef­fekt der so­ge­nann­ten Re­tro­re­fle­xi­on ein­s­tellt: Ein­fal­len­de Licht­strah­len wer­den der­art ge­bro­chen, dass sie kon­zen­triert und präzi­se in die Rich­tung der Licht­qu­el­le zu­rück­kom­men. Die­se spe­zi­el­le Re­fle­xi­ons­wir­kung kann in ei­nem be­stimm­ten Mo­ment wahr­ge­nom­men wer­den - un­ab­hän­gig da­von, ob es sich um das Ta­ges­licht oder um ge­zielt po­si­tio­nier­tes Kunst­licht han­delt. Es kön­nen auch meh­re­re Licht­qu­el­len auf die Ober­fläche aus­ge­rich­tet wer­den. So las­sen sich mit dem Ma­te­rial si­tua­tiv Auf­merk­sam­keit und po­si­ti­ve Raum­stim­mun­gen er­zeu­gen. Dass sich nicht je­des Glas ver­wen­den lässt, weil die al­ka­li­schen Sub­stan­zen im Be­ton es mit der Zeit er­b­lin­den las­sen, scheint fast ne­ben­säch­lich an­ge­sichts der Si­sy­phus­auf­ga­be, win­zi­ge Ku­geln in ei­ner fest­ge­leg­ten Tie­fe im wei­chen Be­ton zu ver­sen­ken. Hei­ke Kluss­mann und Thors­ten Kloos­ter be­wäl­ti­gen dies mit­hil­fe von Ma­tri­zen, de­ren Her­stel­lung zu den Be­triebs­ge­heim­nis­sen zählt. Sie er­lau­ben es den bei­den nicht bloß, Glas­kör­per mit ei­nem Durch­mes­ser von 0,7 bis sie­ben Mil­li­me­tern in re­gel­mä­ß­i­gen Ab­stän­den auf ei­nem noch wei­chen Un­ter­grund zu plat­zie­ren. Dar­über hin­aus kön­nen sie Mus­ter, Pfei­le und Fi­gu­ren kre­ie­ren oder die Ku­geln nach ei­nem Zu­fall­s­prin­zip ver­st­reu­en. An der letz­ten Va­ri­an­te, sagt Thors­ten Kloos­ter, sei­en Ar­chi­tek­ten und In­nen­ar­chi­tek­ten be­son­ders in­ter­es­siert. Ne­ben der Grö­ße und der An­ord­nung der Per­len lässt sich auch die Far­be des Be­tons va­ri­ie­ren. Bling­C­re­te gibt es in al­len Grau­stu­fen von Weiß bis An­thra­zit und na­he­zu al­len Farb­wer­ten. "Bling­C­re­te ist reif für den Markt", sch­ließt Hei­ke Kluss­mann. Vier Mo­na­te lang war das lich­t­re­f­lek­tie­ren­de Ma­te­rial ab Sep­tem­ber 2011 im Rah­men der DMY Asia Ex­hi­bi­ti­on Tour un­ter­wegs. Auf sie­ben ver­schie­de­nen Mes­sen und Fes­ti­vals in Über­see ha­ben po­ten­zi­el­le An­wen­der ei­nen Ein­druck von der Sc­hön­heit des nütz­li­chen Werk­stoffs be­kom­men. Nun müs­sen sie ent­schei­den.

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Plötz­lich blinkt es im Be­ton
Autor
Christiane Meixner

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