Interview with
Heike Klussmann from
Bau Kunst Erfinden

In: The Po­wer of ... Whe­re de­sign meets so­lar en­er­gy,
Hrg. Prof. Ma­rei­ke Gast, Burg Gie­bi­chen­stein, Hal­le

MG: Die in­ter­dis­zi­p­li­nä­re For­schungs­ar­beit von Bau Kunst Er­fin­den be­schäf­tigt sich un­ter an­de­rem mit in­tel­li­gen­ten Ober­flächen und Ma­te­ria­li­en im Kon­text des Bau­we­sens. Aus wel­cher In­ten­ti­on/ Mo­ti­va­ti­on her­aus be­gann die For­schung an Farb­stoff­so­lar­zel­len in Ver­bin­dung mit Be­ton?

HK: Wir ste­hen vor enor­men ge­sell­schaft­li­chen Her­aus­for­de­run­gen. Heu­te le­ben 75% der Be­völ­ke­rung in Eu­ro­pa und 55% der Welt­be­völ­ke­rung in Bal­lungs­zen­t­ren und die­se tra­gen 60 – 80% zum ge­sam­ten Welt­e­n­er­gie­ver­brauch bei. Un­ter Bei­be­hal­tung der bis­he­ri­gen Be­din­gun­gen wird er­war­tet, dass sich der glo­ba­le En­er­gie­ver­brauch in Ge­bäu­den bis 2050 ver­dop­pelt oder so­gar ver­d­rei­facht. Da die In­du­s­trie­na­tio­nen fos­si­le Roh­stof­fe mehr als ei­ne Mil­lio­nen mal sch­nel­ler ver­b­ren­nen, als sie sich er­neu­ern kön­nen und der Be­darf der sich ent­wi­ckeln­den E7-Län­der steigt, ge­hen ak­tu­el­le Schät­zun­gen da­von aus, dass die Res­sour­ce der fos­si­len En­er­gie­trä­ger in we­ni­ger als 100 Jah­re ver­braucht sein wird. Kurz ge­sagt, Ge­bäu­de ver­brau­chen En­er­gie, Was­ser, Ma­te­rial, Bau­en ver­ur­sacht Ab­fall, CO2 und Fein­stau­be­mis­sio­nen. Schon an­ge­sichts der enor­men Grö­ße des Bau­sek­tors, be­deu­ten hier auch schon ge­rin­ge Re­duk­tio­nen ei­ne gro­ße Ve­r­än­de­rung. Das For­schung­s­pro­jekt Dye-Sen­si­ti­zed So­lar Con­c­re­te (Dy­sC­re­te, Ds­sC­re­te) nimmt ei­ne Strom­pro­duk­ti­on in den Blick, die bei der ge­ziel­ten Ma­te­rial­syn­the­se von Bau­stof­fen auf Ze­ment­ba­sis und pho­to­re­ak­ti­ven Par­ti­keln ent­steht. Funk­ti­ons­schich­ten, die Licht nach den Prin­zi­pi­en der tech­ni­schen Pho­to­syn­the­se in elek­tri­sche En­er­gie um­wan­deln kön­nen, wer­den auf Be­tonober­flächen auf­ge­tra­gen und die­se so ve­r­e­delt. Vor­teil ist, die nach­hal­ti­ge En­er­gie­er­zeu­gung ge­lingt auch bei dif­fu­sem Licht und zwar mit frei er­hält­li­chen Kom­po­nen­ten bei ver­g­leichs­wei­se ge­rin­gen Pro­duk­ti­ons­kos­ten. Des­halb hat das neu­ar­ti­ge Ma­te­rial­sys­tem das Po­ten­tial ei­ner „Low-Cost En­er­gy Sour­ce“.

MG: Farb­stoff­so­lar­zel­len sind be­reits seit 1992 pa­ten­tiert. Trotz­dem sind be­son­ders ge­stal­te­risch mo­ti­vier­te For­schungs­ar­bei­ten mit Farb­stoff­so­lar­zel­len re­la­tiv sel­ten. Wo­rin se­hen Sie das Po­ten­tial von Farb­stoff­so­lar­zel­len (ge­ge­nüber Si­li­zi­um­zel­len)?

HK: Seit ei­ni­gen Jah­ren wer­den So­lar­zel­len aus or­ga­ni­schen Ma­te­ria­li­en (z.B. Dye- Sen­si­ti­zed So­lar­zel­le) und an­or­ga­ni­schen Ma­te­ria­li­en (z.B. Kes­te­ri­te und Pe­rows­ki­te) er­forscht. Ih­re An­wen­dung auf opa­ke Bau­stof­fe wie Be­ton wur­de bis­lang je­doch au­ßer Acht ge­las­sen, weil die Auf­merk­sam­keit zu­nächst den gro­ßen Ent­wick­lungs­po­ten­tia­len von Glas ba­sier­ten trans­lu­zen­ten Mo­du­len galt. Ba­sie­rend auf der Tech­no­lo­gie der Dy­e­sen­si­ti­zed So­lar Cell (O’Re­gan and Grät­zel 1991), wer­den im Ma­te­rial­sys­tem Dye- Sen­si­ti­zed So­lar Con­c­re­te or­ga­ni­sche Farb­stof­fe zur Ab­sorp­ti­on von Licht und zur Er­zeu­gung von En­er­gie durch elek­tro­che­mi­sche Re­ak­tio­nen ver­wen­det. Vor­tei­le sind die bes­se­re Ver­füg­bar­keit al­ler Roh­stof­fe, ei­ne re­la­tiv kos­ten­güns­ti­ge Her­stel­lung, viel­fäl­ti­ge De­sign­mög­lich­kei­ten und die Fähig­keit auch dif­fu­ses Licht zu nut­zen, so dass kei­ne spe­zi­el­le Aus­rich­tung zur Son­ne nö­t­ig ist. Das Ma­te­rial­sys­tem ist re­ge­ne­rier­bar, weit­ge­hend re­cy­c­le­bar und bie­tet gro­ßes Ge­stal­tungs­po­ten­tial.

MG: Die An­brin­gung von So­lar­zel­len an Ge­bäu­den ist ein gro­ßes The­ma. Nicht zu­letzt weil der Ge­bäu­de­sek­tor ei­nen er­heb­li­chen An­teil an den Treib­haus­ga­s­e­mis­sio­nen in Deut­sch­land hat. Se­hen Sie bzw. wo se­hen Sie ei­ne Gren­ze zwi­schen der Nut­zung von So­la­r­e­n­er­gie und der Ein­schrän­kung der ge­stal­te­ri­schen Frei­heit?

HK: Die Fähig­keit auch die En­er­gie dif­fu­sen Lichts zu nut­zen nut­zen ist ei­ne be­son­ders her­vor­zu­he­ben­de Ei­gen­schaft von Dye-Sen­si­ti­zed So­lar Con­c­re­te, weil es da­mit im Ver­g­leich zu her­kömm­li­chen PV-Sys­te­men kaum Ein­schrän­kun­gen be­zu­̈g­lich der bau­li­chen Um­set­zung gibt. So er­öff­nen sich na­he­zu un­be­g­renz­te An­wen­dungs- und Ge­stal­tungs­mög­lich­kei­ten im Hin­blick auf Form, De­sign, La­ge und Stand­ort.

MG: Wo se­hen Sie die größ­te Her­aus­for­de­rung in der Ver­b­rei­tung von Solar­mo­du­le im öf­f­ent­li­chen Raum?

HK: Das Bau­en von heu­te ist tra­di­ti­ons­ge­prägt, in ho­hem Ma­ße ri­si­koa­vers und wei­test­ge­hend off-li­ne. Die Bran­che soll­te im ei­ge­nen In­ter­es­se neue Tech­no­lo­gi­en und Ma­te­ria­li­en ein­set­zen und ih­re Pro­zes­se und Ge­schäfts­mo­del­le an­pas­sen und er­neu­ern, sonst be­steht das Ri­si­ko, dass der über lan­ge Zeit er­leb­te Er­folg nach­läs­sig für Ent­wick­lun­gen wer­den lässt, die den Er­folg des ei­ge­nen Ge­schäfts­mo­dells un­ter­gr­a­ben kön­nen. Auch die öf­f­ent­li­che Hand ist ge­for­dert. Sie soll­te als „smar­ter Auf­trag­ge­ber“ agie­ren, d.h. die öf­f­ent­li­che Auf­trags­ver­ga­be ge­zielt ein­set­zen, mit Best Practi­ce Pro­jek­ten und Best Practi­ce Sha­ring Bei­spiel ge­ben und Pi­lot­pro­jek­te um­set­zen. Aus­sch­rei­bungs­ver­fah­ren sind zu re­for­mie­ren, so dass nicht güns­tigs­tes An­ge­bot, son­dern das qua­li­ta­tiv bes­te An­ge­bot den Zu­schlag er­hal­ten kann. An­ge­bo­te sind im Hin­blick auf In­no­va­ti­on, Ein­satz neu­er Tech­no­lo­gi­en und Pro­zes­se, Le­bens­zy­k­lus­kos­ten und Nach­hal­tig­keit zu eva­lu­ie­ren.

MG: In der Zu­kunft Bau wird Dy­sc­re­te als „ze­ment­ge­bun­de­nen Werk­stoff für in­no­va­ti­ve Fas­sa­den-,Wand und Bo­den­sys­te­me im Bau­we­sen“ be­schrie­ben. Wel­che wei­te­ren Zie­le ha­ben Sie für Ih­re For­schung? Wel­che Re­le­vanz spielt hier­bei der Plot­bot/Craw­ler?

HK: Ziel ist die Ent­wick­lung ei­nes völ­lig bau­teil­in­te­grier­ten pho­to­vol­tai­schen Ma­te­rials. Für die­sen kon­k­re­ten An­wen­dungs­fall ha­ben wir an der For­schungs­platt­form Bau Kunst Er­fin­den ei­nen leicht be­di­en­ba­ren, web­ba­sier­ten, sen­sor­ge­führ­ten Be­we­gung­s­au­to­ma­ten ent­wi­ckelt, den Plot­bot/Craw­ler. Mit dem Plot­bot/ Craw­ler kön­nen kom­ple­xe Schicht­sys­te­me zur Funk­tio­na­li­sie­rung von Ge­bäu­de­ober­flächen auf­ge­bracht wer­den. Mit­tels ei­ner kon­sis­tent ver­zahn­ten Werk­zeug-Soft­wa­re-Lo­gik wer­den Ober­flächen von Bau­e­le­men­ten be­lie­bi­ger Geo­me­trie in­stan­tan an­ge­steu­ert oder nach ei­ner zu­vor di­gi­tal er­s­tell­ten Be­ar­bei­tungs­sys­te­ma­tik be­schich­tet. Der Plot­bot/Craw­ler di­ent vor al­lem da­zu, pho­to­re­ak­ti­ve Schich­ten auf Fas­sa­den auf­zu­tra­gen und zu er­neu­ern. Der Fas­sa­den­ro­bo­ter eig­net sich zum Auf­tra­gen die­ser Funk­ti­ons­schich­ten, lässt sich aber auch so mo­di­fi­zie­ren, dass er noch an­de­re Funk­ti­ons­sys­te­me auf­neh­men kann, um z.B. Pig­ment-Be­schich­tun­gen, Ver­sie­ge­lun­gen, Leit­sys­te­me und de­ko­ra­ti­ve Schich­ten auf­zu­tra­gen oder Feuch­tig­keit, Ris­se und an­de­ren De­fek­te an Fas­sa­den zu de­tek­tie­ren.

MG: Wie kön­nen Sie sich die Nut­zung von Dy­sc­re­te oder So­la­r­e­n­er­gie im All­ge­mei­nen in ei­nem Zu­kunftss­ze­na­rio vor­s­tel­len?

HK: Die Son­ne ist be­reits heu­te ei­ne wich­ti­ge En­er­gie­qu­el­le und die Pho­to­vol­ta­ik wird in Zu­kunft ei­ne der wich­tigs­ten Strom­ver­sor­gungs­tech­no­lo­gi­en wer­den. Ge­bäu­de spie­len hie­rin ei­ne wich­ti­ge Rol­le. Sie agie­ren zu­neh­mend mit dem En­er­gie­sys­tem und ha­ben das Po­ten­tial, zu de­zen­tra­len En­er­gie­zen­t­ren zu wer­den. Das heu­te in der ge­bäude­in­te­grier­ten Pho­to­vol­ta­ik (BIPV) do­mi­nie­ren­de Ma­te­rial ist die Si­li­zi­um- So­lar­zel­le. Be­kannt sind hier zu Solar­mo­du­len ver­schal­te­te Panee­le, die sich weit­ge­hend als Auf­dach-So­lar­strom­an­la­ge eta­b­liert ha­ben. Wäh­rend der für ih­re Her­stel­lung not­wen­di­ge Grund­stoff Si­li­zi­um im Prin­zip un­be­g­renzt zur Ver­fü­gung steht, sind die eben­falls not­wen­di­gen Ma­te­ria­li­en wie et­wa In­di­um, Gal­li­um, Tellur und Se­len be­zu­̈g­lich ih­rer Ma­te­rial­ö­ko­no­mie, des Res­sour­cen­ver­brauchs und ih­rer Um­welt­ver­träg­lich­keit kri­tisch zu be­wer­ten. Auch be­nö­t­i­gen sol­che An­la­gen Platz, der in Bal­lungs­zen­t­ren nur be­g­renzt zur Ver­fü­gung steht. Wei­ter­hin muss si­li­zi­um­ba­sier­te Pho­to­vol­ta­ik nach Sü­den aus­ge­rich­tet wer­den, um das Son­nen­licht ef­fek­tiv nut­zen zu kön­nen. Da Ge­bäu­de- und Paneel­geo­me­trie nicht au­f­ein­an­der ab­ge­stimmt sind, ent­steht ei­ne ad­di­ti­ve, unat­trak­ti­ve Äst­he­tik, die kei­ne ge­stal­te­ri­sche Ein­heit mit dem Ge­bäu­de er­laubt. Die pho­to­vol­tai­schen Er­tüch­ti­gung von opa­ken Bau­werk­stof­fe bie­tet für Ar­chi­tek­tur und das Bau­we­sen die Mög­lich­keit, den Flächen­an­teil für so­la­re En­er­gie­ge­win­nung er­heb­lich zu er­höhen und die­se neue Tech­no­lo­gie früh­zei­tig mit­zu­ge­stal­ten, um äst­he­tisch an­spruchs­vol­le Sys­te­me zu ent­wi­ckeln, die gleich­zei­tig als pho­to­ak­ti­ve und struk­tu­rell form­ge­ben­de Sys­te­me in die Pla­nung ein­f­lie­ßen kön­nen.

MG: Ih­re Ar­beit bei Bau Kunst Er­fin­den be­ruht auf In­ter­dis­zi­p­li­na­ri­tät zwi­schen ver­schie­de­nen krea­ti­ven und wis­sen­schaft­li­chen Be­rei­chen. Wie sieht For­schung von Ge­stal­te­rIn­nen aus und in­wie­fern un­ter­schei­det sie sich nach ih­ren Er­fah­rung von der wis­sen­schaft­li­chen For­schung?

HK: De­sig­ner, Ar­chi­tek­ten, In­ge­nieu­re, In­for­ma­ti­ker, Grund­la­gen­for­scher sind heu­te zu un­ter­schied­li­chen Zeit­punk­ten an der Ent­wick­lung von Pro­duk­ten, Ge­bäu­den und In­fra­struk­tu­ren be­tei­ligt. An der For­schungs­platt­form Bau Kunst Er­fin­den ar­bei­ten wir schon zu Be­ginn ei­nes Pro­jek­tes, d.h. zu ei­nem sehr frühen Zeit­punkt in­ter- und trans­dis­zi­p­li­när zu­sam­men. In den Pro­jek­ten über­la­gern künst­le­ri­sche St­ra­te­gi­en, Grund­la­gen­wis­sen­schaf­ten und an­wen­dungs­o­ri­en­tier­te in­ge­nieur­wis­sen­schaft­li­che St­ra­te­gi­en ein­an­der. Das schafft bes­se­re Ver­zah­nung der Pro­zes­se und ei­nen Mehr­wert für al­le Be­tei­lig­ten. Kunst be­deu­tet, Fra­gen zu stel­len und Wis­sen zu ver­bin­den. Beim in­ter­dis­zi­p­li­nä­ren Ar­bei­ten geht es dar­um, die ei­ge­ne Dis­zi­p­lin, die ei­ge­ne Ar­beit wei­ter­zu­den­ken und in ei­nem an­de­ren Kon­text zu ver­or­ten. Die ei­ge­ne Kom­fort­zo­ne zu ver­las­sen, dar­auf muss man sich ein­las­sen.


Hei­ke Kluss­mann is an ar­tist and a pro­fes­sor wor­king in the field of fi­ne arts and ar­chi­tec­tu­re at the Uni­ver­si­ty of Kas­sel sin­ce 2005. She al­so runs her own stu­dio in Ber­lin, is re­p­re­sen­ted in ex­hi­bi­ti­ons, films and pu­b­li­ca­ti­ons, and has re­cei­ved nu­me­rous awards. In 2009, she foun­ded the in­ter­di­s­ci­p­li­na­ry re­se­arch plat­form BAU KUNST ER­FIN­DEN in Kas­sel. The plat­form com­bi­nes ex­per­ti­se from va­rious fields, in­clu­ding the fi­ne arts, ar­chi­tec­tu­re, ur­ban plan­ning, ex­pe­ri­men­tal phy­sics and tech­no­lo­gi­cal ma­te­rial re­se­arch. BAU KUNST ER­FIN­DEN is de­di­ca­ted to the de­ve­lop­ment of in­no­va­ti­ve ma­te­rials sys­tems and in­tel­li­gent sur­faces.

In­ter­view Ma­rie Gehr­hardt

Über das Buch

Artikel Titel
The Po­wer of ... Whe­re de­sign meets so­lar en­er­gy
Verlag
The Po­wer of ... Whe­re de­sign meets so­lar en­er­gy
Ort
Hal­le
Hrg.
  • Prof. Mareike Gast
Datum
01.09.2020
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