Bauwelt
von: Friederike Meyer, Berlin
Für ein Kunst-am-Bau-Projekt suchte die Künstlerin Heike Klussmann vergeblich nach einem feuerfesten, lichtreflektierenden Material. Dann hat sie es mit dem Architekten Thorsten Klooster kurzerhand selbst entwickelt. Wenn es um neue Materialien geht, ist das Bauwesen eine eher konservative Disziplin. Weil es dem Grundsatz von den anerkannten Regeln der Bautechnik zu folgen gilt, müssen alle Neuentwicklungen Normen und Richtlinien entsprechen. Mit der mühsamen Zertifizierung befassen sich in der Regel Entwicklungsabteilungen großer Firmen. Vor diesem Hintergrund ist die Entstehungsgeschichte des lichtreflektierenden Betons BlingCrete eine Besonderheit. Vor neun Jahren hatte die Künstlerin Heike Klussmann für den Wettbewerb der Düsseldorfer U-Bahnlinie ein Kunst-am-Bau-Projekt mit lichtreflektierenden Oberflächen vorgeschlagen, die nach dem Prinzip der Katzenaugenreflektoren funktionieren. Doch die Umsetzung scheiterte an der unzulänglichen Feuerfestigkeit von Plastik und Aluminium. Die Idee, ein neues, den Anforderungen der U-Bahn-Schächte entsprechendes Material zu entwickeln, war geboren. Gemeinsam mit dem Architekten Thorsten Klooster, einer Gruppe Spezialisten aus den Bereichen bildende Kunst, Architektur, Interaktionsdesign, experimentelle Physik und technolo!gische Materialforschung und mit Hering Bau International, einem am Experiment interessierten Betonhersteller, der mit weltweit führenden Architekten zusammenarbeitet, hat sie den reflektierenden Beton BlingCrete entwickelt. Im Mai 2011 wurde BlingCrete auf der Frankfurter Materialmesse „Material Vision“ vorgestellt und sogleich mit dem Design Plus Award des Rats für Formgebung ausgezeichnet.
Wie erklären Sie BlingCrete in zwei Sätzen?
Thorsten Klooster | BlingCrete ist ein Beton, in dessen Oberfläche Glaskugeln eingelassen sind. Diese reflektieren Licht in Richtung der Lichtquelle.
Wo kann man reflektierenden Beton gebrauchen oder einsetzen?
TK | Überall wo Sicherheitskennzeichnungen eine Rolle spielen, an Bahnsteig- und Bordsteinkanten, in U-Bahnhöfen, Tunneleinfahrten, Tiefgaragen oder als Wegeleitsystem. Und natürlich dort, wo der Materialkundler gerne vom dekorativen Bereich spricht. Da halten sich die Architekten ja zu 80 Prozent auf. Als Bodenplatte, Wand- oder Deckenelement. Es sind viele Geometrien möglich. Die Formate fangen bei 10x15 cm an und en!den bei 6x4 m, das passt gerade noch auf den LKW.
Aber was ist daran besonders?
Heike Klussmann | Bei BlingCrete verbinden sich Beton und Glas zu etwas Neuem. Das Material hat einen aktiven und einen passiven Zustand, es ist analog und interaktiv. Es hält die Information, wie etwa einen Wegweiserpfeil, latent vor. Nur wenn diese Information durch einen Lichtstrahl aktiviert wird, leuchtet sie auf.
Wie funktioniert das?
TK | Jede Oberfläche reflektiert Licht, meist aber diffus streuend. Unsere Kügelchen funktionieren wie ein spezielles Prisma. Das einfallende Licht wird so gebrochen, dass es konzentriert zurückkommt. Das nennt man Retroreflexion. Diese Funktion stellt sich nicht dauerhaft ein, die Betrachter müssen sich mit der Oberfläche auseinandersetzen. Sobald sie sich von der Lichtquelle entfernen, ist der Effekt nicht mehr wahrnehmbar. Wir halten das für eine Qualität, weil es ein Material ist, das man entdecken kann.
Wie sind Sie darauf gekommen, ein solches Material zu entwickeln?
HK | Ich habe mit Netzwerkarchitekten 2002 den Wettbewerb für die Gestaltung der U-Bahnlinie in Düsseldorf gewonnen. Ich hatte vorgeschlagen, die unterirdischen Räume durch reflektierende Oberflächen optisch in Bewegung zu versetzen. Damals habe ich mit Straßenmarkierungsma!terialien auf Aluminium- oder Kaltplastikbasis gearbeitet. Im Planungsprozess hat sich herausgestellt, dass diese Materialien aus Brandschutzgründen nicht eingesetzt werden können. Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht und beschlossen, ein selbstreflektierendes, feuerfestes Material zu entwickeln. Dieses Material besteht aus zwei Komponenten, die auf den ersten Blick gar nicht zusammen passen.
Wie lief die Entwicklung ab?
HK | Wir haben mit der Firma Hering Bau zusammengearbeitet. Sie sind Spezialisten für hochwertigen Beton und bauen auch Gleisanlagen und Bahnsteige. Das hat uns zusammengebracht. In deren Labor entstand die Idee, die Kunststoff und Aluminiumbasis gegen Materialien auszutauschen, die im öffentlichen Raum verwendbar sind. So sind wir auf Beton und Glas gekommen, sie sind Brandschutzklasse A 1, nicht brennbar.
Es muss unglaublich aufwendig sein, diese Glaskugeln herzustellen und sie fest im Beton zu verankern.
HK | Unsere Recherche begann bei der Glaszusammensetzung und ging dann über die Oberflächenbehandlung zur Reflexionsintensität. Glaskugeln werden in unterschiedlichen Größen und Qualitäten hergestellt. Es gibt zum Beispiel getropftes, gepresstes oder geschliffenes Glas. Es kommt auch auf die Alkaliresistenz des Glases an, damit es sich mit Beton verträgt, und auf die Rezeptur des Betons. Dieser muss hochfest bis ultrahochfest sein. Wir haben die Kugeln zu 51 Prozent eingebettet, das eine Prozent über die 50 hält mechanisch die Kugel fest.
Wie kommen die Kugeln in den Beton?
TK | Es gibt zwei Prinzipien. Wenn wir die Kügelchen einlagig aufbringen, nennen wir das Monolayer. Wir haben ein Matrizenverfahren entwickelt, mit dem wir die Kugeln positionieren können. Wie die Matrizen hergestellt werden, ist unser Betriebsgeheimnis. Das andere Prinzip ist, dass wir die Kügelchen wie die Schokoladenstückchen beim Kuchenbacken in den flüssigen Beton rühren. Durch ein Auswaschen, ähnlich wie früher beim Waschbeton, können wir sie an die Oberfläche holen.
Wie wollen Sie sich vor Nachahmern schützen?
TK | Als Coca-Cola erfunden wurde, gab es ein paar Jahre später Pepsi. Damit muss man leben. Konkurrenz belebt das Geschäft. Dank einer Förderung von der AiF e.V. Allianz Industrie Forschung konnten wir zwei Jahre daran forschen, wie BlingCrete schnell, in großer Stückzahl und mit den entsprechenden Zertifikaten herzustellen ist. Wir haben einen Vorsprung, der erstmal aufgeholt sein will, und wir wollen ein Gebrauchsmuster anmelden. Patente sind aufwendig und teuer und gar nicht so wirksam. Im Unterschied zum Patent muss man die Gebrauchsmusterschrift erst offen legen, wenn es zum Streit kommt. Das heißt, nicht jeder kann sehen, wie wir’s machen. Das ist die zeitgemäße Variante.
HK | Potentielle Nachahmer haben es nicht leicht. BlingCrete sieht einfach aus, aber der Teufel steckt im Detail. Die ganze Technologie, wie es haftet, die genaue Positionierung.
Haben Sie BlingCrete zertifiziert?
TK |Wir sind dabei. Den Frost-Tausalz-Test haben wir schon bestanden. Es gibt aber verschiedene DINs, die in Frage kommen. Die für lichtreflektierende Oberflächen zum Beispiel. Weil es ein so neues Material ist, müssen überhaupt erstmal Messverfahren entwickelt werden. Das ist fast schon ein eigenes Forschungsprojekt.
HK |Die Betonherstellung zum Beispiel setzt auf das bei Hering angewendete Verfahren der betoShell®-Platten auf. Diese sind alle DIN-zertifiziert. Also trifft das Zertifikat auch auf BlingCrete zu. BlingCrete kann jetzt also produziert und eingesetzt werden. Sie verschicken gerade Materialproben an Interessenten. Wie geht es dann weiter?
TK | Wir haben Folgeprojekte aufgesetzt. Wir können uns vorstellen, nicht nur Glaskügelchen einzubetten, sondern zum Beispiel Glasfasern oder Metallkugeln oder metallische Sensoren, die wir mit Hilfe von magnetischen Streufeldern positionieren. Und wir wollen demnächst versuchen, den Beton mit Magnetismus zu strukturieren.
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- Klussmann, Klooster und BlingCrete
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